- internationales Privatrecht
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Abkürzung IPR, die Gesamtheit der Normen, die festlegen, nach welchem Recht ein Tatbestand mit Auslandsberührung zu beurteilen ist (Kollisionsnormen), z. B. ein Vertrag, den ein Deutscher mit einem Franzosen in Zürich abgeschlossen hat. IPR ist ungeachtet seiner Bezeichnung und im Gegensatz zum internationalen Einheitsrecht nationales Recht. Rechtsquellen sind in Deutschland die Art. 3-38 des Einführungsgesetzes zum BGB (EGBGB) in der Fassung des IPR-Neuregelungsgesetzes vom 25. 7. 1986, zahlreiche Staatsverträge (z. B. Haager Abkommen) sowie Gewohnheitsrecht.Allgemeine Grundsätze:Das IPR schreibt die Anwendung derjenigen Rechtsordnung vor, die nach Meinung des nationalen Gesetzgebers mit dem Sachverhalt besonders eng verbunden ist und deren Anwendung am gerechtesten erscheint. Die für solche Beziehungen maßgebenden Gesichtspunkte nennt man Anknüpfungspunkte oder Anknüpfungsmomente. Ziel der Anknüpfung ist, dass derselbe Sachverhalt im In- und Ausland nach Möglichkeit gleich entschieden wird (Entscheidungsharmonie). Die wichtigsten Anknüpfungspunkte sind die Staatsangehörigkeit, der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt, der Sitz einer juristischen Person, der Handlungsort, der Lageort einer Sache und der Parteiwille. Staatenlose und Flüchtlinge unterstehen in den Fällen, in denen sonst an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird, dem Recht des Staates, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen ihren schlichten (tatsächlichen) Aufenthalt haben. Eine Kollisionsnorm kann einen oder mehrere Anknüpfungspunkte enthalten. Man unterscheidet kumulative, alternative und subsidiäre Anknüpfung. Bei der kumulativen Anknüpfung wird an zwei Rechtsordnungen angeknüpft, deren beider Voraussetzungen erfüllt sein müssen (z. B. bei der Eheschließung von Personen verschiedener Staatsangehörigkeit). Bei der alternativen Anknüpfung (z. B. der Formfragen) müssen nur die Voraussetzungen einer von mehreren berufenen Rechtsordnungen erfüllt sein (Günstigkeitsprinzip). Eine subsidiäre Anknüpfung findet statt (z. B. bei Unterhaltsansprüchen), wenn die primäre Anknüpfung nicht zum Erfolg führt.Zu unterscheiden ist ferner zwischen einseitigen und mehrseitigen Kollisionsnormen sowie Exklusivnormen. Einseitige Kollisionsnormen legen nur fest, wann das Recht des eigenen Staates angewendet werden soll (im heutigen IPR kaum noch vorhanden). Allseitige Kollisionsnormen berufen ausländisches und inländisches Recht; sie sind im EGBGB die Regel. Exklusivnormen liegen vor, wenn für bestimmte Tatbestände trotz einer eigentlich anderen Anknüpfung nationales, also deutsches Recht anzuwenden ist (z. B. kann nach Art. 17 EGBGB ein Deutscher nach deutschem Recht geschieden werden, wenn die Scheidung nach dem eigentlich geltenden Ehewirkungsstatut nicht möglich wäre).Probleme kann die Zuordnung eines Tatbestandes zu einer Kollisionsnorm (Qualifikation) bereiten. Nach überwiegender Ansicht ist bei der Qualifikation primär auf das Recht des Gerichtsortes (»lex fori«) abzustellen. Knüpft das Recht, auf das die deutschen Kollisionsnormen verweisen, die Rechtsfrage anders an als das deutsche IPR, so ist diese Verweisung grundsätzlich zu befolgen (Art. 4 EGBGB). Hält das ausländische Recht das deutsche Recht für anwendbar (z. B. weil der Erblasser mit Wohnsitz in Deutschland verstorben ist), so spricht man von einer Rückverweisung (»renvoi«), hält es das Recht eines dritten Staates für anwendbar, spricht man von einer Weiterverweisung.Nicht angewendet werden dürfen ausländische Rechtsregeln, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts (insbesondere den Grundrechten) offensichtlich unvereinbar ist (»ordre public«, Art. 6 EGBGB).Personenrecht und Recht der Rechtsgeschäfte:Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer natürlichen Person richtet sich nach ihrer Staatsangehörigkeit (Art. 7 EGBGB). Dasselbe gilt grundsätzlich auch für den Namen einer Person. Ehegatten können aber unter bestimmten Voraussetzungen ihren Namen und den Namen ihrer Kinder nach einem anderen Recht wählen (Art. 10 Absatz 2, Absatz 3 EGBGB). Juristische Personen sind im EGBGB nicht geregelt; sie werden nach überwiegender Ansicht nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem sie ihren Sitz haben. Die Form eines Rechtsgeschäfts richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem es vorgenommen wird, oder nach dem Recht, aus dem sich die materielle Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts ergibt (Art. 11 EGBGB).Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten seinem Heimatrecht (Art. 13 EGBGB). Fehlt danach eine Voraussetzung, kann deutsches Recht Anwendung finden, wenn ein Verlobter Deutscher ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, die Verlobten die zumutbaren Schritte zur Erfüllung der Voraussetzung unternommen haben und es mit der Eheschließungsfreiheit unvereinbar wäre, die Eheschließung zu versagen. Diese Ausnahme ist Ausprägung des deutschen »ordre public« (Art. 6 GG). Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegen dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören, bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit dem Recht des Staates, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, hilfsweise, mit dem sie auf andere Weise am engsten verbunden sind (Ehewirkungsstatut). Das Ehewirkungsstatut zur Zeit der Eheschließung bestimmt auch die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe, das Ehewirkungsstatut zur Zeit der Scheidung bestimmt die Scheidungsvoraussetzungen.Die Erbfolge unterliegt dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Für im Inland belegenes unbewegliches Vermögen kann der Erblasser deutsches Recht wählen (Art. 25 EGBGB).Im internationalen Vertragsrecht haben die Parteien die Möglichkeit der Rechtswahl (Parteiautonomie). Allerdings kann bei Verbraucherverträgen und Arbeitsverträgen nicht von den zwingenden Bestimmungen des Rechts, das ohne Rechtswahl berufen wäre (bei Arbeitsverträgen das Recht des Staates, in dem die Arbeit verrichtet wird), abgewichen werden. Unerlaubte Handlungen werden an das Recht des Tatorts angeknüpft. Tatort ist jeder Ort, an dem gehandelt wurde oder an dem der Erfolg der Rechtsgutverletzung eingetreten ist (z. B. ein Betrieb leitet in der Schweiz Abwässer in den Rhein, in Deutschland sterben Fische. Tatort sind die Schweiz und Deutschland). Kommt danach die Anwendung mehrerer Rechte in Betracht, ist das dem Verletzten günstigere Recht anzuwenden.Die Rechtsverhältnisse an Sachen bestimmen sich grundsätzlich nach dem Recht des Ortes, an dem sich die Sache befindet (»lex rei sitae«).Vom IPR zu unterscheiden sind das interlokale Privatrecht, das interpersonale Recht und das intertemporale Recht.In der DDR war die wichtigste Rechtsquelle des IPR das Rechtsanwendungsgesetz (RAG) vom 5. 12. 1975. Auf Altfälle, d. h. auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts (3. 10. 1990) abgeschlossene Vorgänge, ist das RAG auch heute noch anwendbar (Art. 236 § 1 EGBGB). Es bestimmt z. B., welches Recht die Erbfolge in ein in der DDR belegenes Grundstück regelt, dessen italienische Eigentümer vor dem 3. 10. 1990 gestorben ist. Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland wird für Altfälle das RAG durch das interlokale Privatrecht verdrängt. Art. 236 EGBGB enthält Vorschriften zur Einführung des IPR der Bundesrepublik in den neuen Ländern.In Österreich ist das IPR durch Bundesgesetz vom 15. 6. 1978 neu geregelt worden. Dieses normiert den Grundsatz der »stärksten Beziehung«. Im Familien- und Erbrecht bleibt es bei der grundsätzlichen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Bei Ehegatten unterschiedlicher Staatsangehörigkeit wird an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft. Eine Rechtswahlmöglichkeit existiert im Ehegüterrecht und im Schuldrecht.Das schweizerische Bundesgesetz über das IPR vom 18. 12. 1987 (in Kraft seit 1. 1. 1989) ist mit 200 Artikeln die umfangreichste Kodifikation des IPR aus neuerer Zeit. Geregelt werden darin nicht nur das anwendbare Recht, also das IPR im engeren Sinn, sondern auch die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte, die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, der Konkurs und der Nachlassvertrag sowie die Schiedsgerichtsbarkeit. Im Bereich des Familien- und Erbrechts geht die schweizerische Regelung grundsätzlich von der Anknüpfung an den Wohnsitz aus.D. Henrich: Internat. Familienrecht (1989);K. Firsching: I. P. einschließlich der Grundzüge des internat. Zivilverfahrensrechts, fortgef. v. B. von Hoffmann (41995);G. Kegel: I. P. Ein Studienbuch (71995);I. P., hg. v. H. Honsell u. a. (Basel 1996).
Universal-Lexikon. 2012.